Interview Simone Würdinger mit Karolina Sarbia

Wie kamen Sie dazu Werkgespräche mit Künstlerinnen zu entwickeln?

Schon im Studium habe ich den Kontakt zu Künstlern gesucht und sie im Atelier besucht, um über ihre Arbeiten aus erster Hand zu erfahren. Nach dem Studium habe ich den künstlerischen Nachlass der Biennale- und documenta-Teilnehmerin Anna Oppermann aus Hamburg mit organisiert und konzipiert. Ich habe sie anlässlich meiner Magisterarbeit noch persönlich kennengelernt. Von der Begegnung und Auseinandersetzung mit Oppermann habe ich sehr profitiert, auch danach bei der Nachlassverwaltung.

Außerdem las ich mit Begeisterung die Viten der Künstler aus der Geschichte des europäischen Abendlandes, und war immer von Neuem erstaunt, mit wie viel Mythen diese Personen und ihre künstlerische Schaffenskraft ausgestattet waren. Nicht nur bei der Künstlerperson, auch bei der Interpretation der Kunstwerke hat die Mythenbildung ganze Arbeit geleistet. Dies stand und steht in krassem Gegensatz zum Lebensalltag zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen. Dieses gesamte kulturelle Konstrukt beschäftigt mich unvermindert bis heute. Denn die Künstler- und Schöpfungsmythen leben unter veränderten Vorzeichen nicht minder virulent bis heute fort. Ich finde es notwendig, mit diesen alten verbrauchten Geschichten aufzuräumen, um Platz zu schaffen für neue unverblümte Realitäten.

Was bekommen die Künstlerinnen durch die Zusammenarbeit mit Ihnen?

Die weibliche Biographie und Schaffenskraft ist historisch gesehen vielfach gebrochen. In den 70er Jahren wurde dieses Konstrukt komplett neu aufgerollt. Das war mein Forschungsschwerpunkt. Doch was bekommen die Künstlerinnen heute von mir? Sie profitieren von mir insofern, als sie ein authentisches und kompetentes Feedback zu ihren Arbeiten bekommen. Meine Fragen regen sie an, ihre Vorgehensweisen und Konzepte kritisch zu überdenken und zu vertiefen. Dies ist die wesentliche Voraussetzung, um sich selbst sprachlich pointiert zu artikulieren, was nicht der Regelfall für Künstlerinnen ist. Eine Studentin in einem Seminar brachte es auf den Punkt, als sie völlig ernst und unironisch meinte: ‚Wir Künstler denken mit den Händen‘. Viele bildende Künstlerinnen scheuen das Wort und überlassen das verbale Feld des Diskurses den Kritikern oder Kunsthistorikern, die ihre Arbeit nur partiell kennen. Mit meiner Unterstützung machen sie sich selbst zum Sprachrohr ihrer eigenen künstlerischen Arbeit.

Was ist das Besondere an den Werkgesprächen?

Das Werkgespräch ist eine besondere Textform, die zwei Sichtweisen miteinander verbindet: den produktiven und den rezeptiven Blick auf das Werk. Die Sicht der produzierenden Künstlerin wird erweitert um die Sicht der rezipierenden Kunsthistorikerin. Fragen und Antworten wechseln sich gegenseitig ab. Dialog auf Augenhöhe ist das Stichwort für diese Art der Auseinandersetzung. Das Gesprächsmaterial dafür liefern die vorausgegangenen Atelierbesuche.

Das Werkgespräch markiert ferner die Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis, die gewährleistet, dass die Theorie einerseits an das künstlerische Werk rückgebunden ist und die Praxis andererseits auf Theoriezusammenhänge verweist. Nur so ist ein über das Subjekt hinausgehendes Gespräch über die künstlerische Arbeit sinnvoll und aufschlussreich. Werkgespräche sind so gesehen eine authentische und intellektuell anspruchsvolle Form der Kunstvermittlung.

Was zeichnet die Werkgespräche mit Künstlerinnen gegenüber klassischen Interviews mit Künstlern aus?

Jedem Werkgespräch und jedem Katalogkonzept gehen Atelierbesuche voraus, die es mir ermöglichen, mich in die Ideenwelt und das Gedankengebäude der Künstlerperson einzulassen, als auch ein Gespür für die Eigenheiten des Werkes zu entwickeln. Natürlich erfahre ich in diesem Zusammenhang auch etwas über die private Seite der Künstlerin. Aber nicht die Person mit ihrem Lebensumfeld, sondern das Werk steht im Mittelpunkt der Begegnung. Es ist ein triadisches Verhältnis: Künstlerin – Werk – Rezipientin. Künstlerin und Rezipientin richten ihren Fokus auf ein Drittes, das Werk. Das persönliche Gespräch mit den Künstlerinnen über ästhetische Fragestellungen und Entscheidungsprozesse eröffnet mir einen einzigartigen Zugang zum Werk, der es mir erlaubt die Werke in ihrer Weite und Tiefe zu erfassen.

Wesentliche Grundlage für ein Werkgespräch jedoch ist meine Kenntnis des Gesamtwerkes, sind Entstehungszusammenhänge, Entwicklungsschritte, Querverbindungen, konzeptionelle Verdichtungen, Fragestellungen, Anregungen, Absichten, Vorhaben. Erst wenn ich den künstlerischen Arbeitsansatz verstanden habe, beginne ich ein Werkgespräch vorzubereiten. Das unterscheidet mich maßgeblich von Kunstjournalisten oder Kunstkritikern. Die Hauptarbeit läuft im Vorfeld und kann nur in Zusammenarbeit mit der Künstlerin erfolgen. Dazu bedarf es einer großen Offenheit seitens der Künstlerin und ebenso großer Loyalität meinerseits. Diese Form der Auseinandersetzung ist für Künstlerinnen besonders geeignet, weil Frauen mit ihrer oftmals brüchigen Biographie Schwierigkeiten haben, den roten Faden gerade über ihre Brüche hinweg zu erkennen. Sie schätzen das Gespräch und profitieren von meiner Methode der künstlerisch Standortbestimmung und Werkaufarbeitung.